Unter dem Motto „Berge, Täler und Partisanen“ fand die internationale Wanderung der NaturFreunde Berlin nach Bulgarien statt. In der Tradition des „sozialen Wanderns“ organisierten die NaturFreunde Berlin unter der Leitung von Uwe Hiksch und Janeta Mileva eine 10-tägige Wander- und Kulturreise Mitte Juli 2018 nach Bulgarien.
Die Reiseteilnehmenden erschlossen sich gemeinsam die Geschichte des Landes und der Region. Bereits im letzten Jahr fand eine erste Informationsveranstaltung zum Thema statt, in der die Geschichte der Region angesprochen und die Wanderrouten vorgestellt wurden.
Die Region um die Stadt Karlovo war in der Zeit des Faschismus eine der Hochburgen des Widerstandes gegen den Faschismus. Partisan*innen hatten sich in die Berge um Karlovo zurückgezogen und leisteten aktiven Widerstand gegen das faschistische Regime. Den Interessierten wurden in der Informationsveranstaltung erste Eindrücke der Region vermittelt und das Reiseprogramm vorgestellt.
Karlovo im Tal der Rosen
Im Mittelpunkt der Reise standen die Kultur und die interessante antifaschistische Geschichte des Landes. Ziel der Reise war Karlovo am Fuße des Zentralen Balkangebirges. Die Stadt hat etwa 30.000 Einwohner*innen und liegt im Tal der Rosen. Bis 1989 war Karlovo durch eine vielfältige Industrie geprägt, die jedoch nach dem Ende der sozialistischen Zeit beendet wurde. Die große Textilfabrik und die Traktorfabrik, die einst für die RGW exportiert hatten, wurden nach 1989 völlig zerstört. Auch die Rosenölproduktion ging stark zurück. Besonders traf die Region jedoch die neoliberale Umgestaltung der Landwirtschaft.
Mit dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ wurden die landwirtschaftlichen Betriebe zerschlagen, die dem Tal der Rosen seine Ausprägung gegeben hatten. Karlovo war bis 1989 von riesigen Rosen- und Lavendelfeldern umgeben, die für die Produktion von Rosen- und Lavendelöl eingesetzt wurden. Nach 1989 wurden die Grundstücke ihren ursprünglichen Eigentümer*innen zurückgegeben, was zu einem massiven Rückgang der Rosen- und Lavendelölproduktion und damit einer wichtigen Einnahmequelle für die Menschen in der Region führte. Nach und nach, insbesondere in den letzten Jahren, haben landwirtschaftliche Betriebe und private Akteur*innen wieder begonnen, im größeren Umfange Rosen anzubauen.
Die Saison für das Pflücken der Rosenblätter dauert von Mai bis Juni. Die Blüten werden vorsichtig einzeln abgeschnitten und an die Rosenfabriken in der Region verkauft. Diese harte Arbeit ist heute sehr schlecht bezahlt und wird überwiegend von Frauen durchgeführt. Viele Familien, die nach der Wende 1989 ihre Arbeit verloren haben, versuchen heute mit der Rosenproduktion ein bescheidenes Einkommen zu erzielen.
Wandern und Geschichte
Von Karlovo führt eine Reihe von Wanderwegen mitten in das Balkangebirge mit seinen abwechslungsreichen Tälern und weiten Höhen. Ziele der anspruchsvollen Wanderungen waren verschiedene Berghütten im Nationalpark Zentrales Balkangebirge: Die Hütte Dobrila (1.805 m), die zwischenzeitlich für den Bergtourismus überdimensioniert ausgebaut wurde, die Hütte Hubavetz (980 m) in ihrer Ursprünglichkeit, die Hütte Komsomolska (1.250 m), die heute in Ravnetz umbenannt wurde.
Drei Kulturtouren führten die Teilnehmenden in die Hauptstadt Sofia, die zweitgrößte Stadt Bulgariens Plovdiv und zu einer geschichtlichen Erkundung Karlovos.
Gedenkveranstaltung für Teodosij Markov
Einer der Höhepunkte der Reise war die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung des Verbandes der Antifaschisten von Karlovo. Das Denkmal für Teodosij Markov stand früher in der nach ihm benannten Textilfabrik, wurde jedoch nach der Wende abgebaut. Erst durch eine Initiative der Sozialistischen Partei Bulgariens aus Karlovo wurde das Denkmal vor wenigen Jahren nahe der Stadtmitte wieder aufgestellt. Seitdem findet zum Jahrestag der Ermordung von Teodosij Markov eine kleine Gedenkveranstaltung des antifaschistischen Verbandes in Karlovo am Denkmal statt.
Am Denkmal trafen sich 10 aktive Antifaschist*innen. Sichtlich erfreut waren sie, als die 17 Berliner NaturFreund*innen zu ihnen kamen, um gemeinsam an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Bei der Veranstaltung schilderte die Vorsitzende des antifaschistischen Verbandes Karlovo das Leben und Wirken von Teodosij Markov. Mit intensiven Worten schilderte sie die Verhaftung und anschließende Folterung des aktiven Widerstandskämpfers. Die Peiniger rissen ihm mit Stacheldraht eine Hand ab, um ihn dazu zu bringen, seine Mitkämpfer*innen zu verraten. Bis zu seiner Erschießung durch seine Peiniger verriet er jedoch keine*n seiner Mitgenoss*innen, obwohl er schwerst gefoltert wurde. Für die deutschen NaturFreunde bedankte sich Uwe Hiksch für die freundliche Aufnahme und die beeindruckende Gedenkveranstaltung. Danach legten alle Teilnehmenden Blumen für den ermordeten Antifaschisten nieder.
Nach dem öffentlichen Gedenken gingen die Teilnehmenden in das Gewerkschaftshaus von Karlovo, in dem die Vorsitzende des Verbandes der Antifaschisten, Stefka Taneva, die Geschichte des Widerstandes gegen den Faschismus vortrug. In einer einstündigen Veranstaltung wurde ein geschichtlicher Überblick über den antifaschistischen Widerstand in der Region um Karlovo gegeben. Besonders beeindruckend waren die Schilderungen über das Leben und Wirken von einzelnen Partisan*innen. Eindrücklich wurde geschildert, wie die Partisan*innen Widerstand organisierten und sich in den Bergen, wo sie über Monate in Erdlöchern lebten, vor den faschistischen Truppen verstecken mussten. Viele von ihnen wurden gefasst, eingesperrt und ermordet. Intensiv ging die Referentin auch auf den Versuch der heutigen konservativen und reaktionären Kreise in Bulgarien ein, den Widerstand der Partisan*innen zu diskreditieren oder sogar zu leugnen.
Geschichte der Befreiung: Wasil Lewski
Immer wieder begegnete den Teilnehmenden der internationalen Wanderung der bekannteste Sohn der Stadt Karlovo, Wasil Lewski, dessen Geburtshaus heute in Karlovo als Museum besucht werden kann. Lewski kam am 18. Juli 1837 in Karlovo zur Welt. Er besuchte die Schule in Karlovo. Lewski setzte sich für die politische Befreiung Bulgariens von der osmanischen Besetzung ein, er gründete in vielen Städten und Regionen in Bulgarien Widerstandsgruppen.
Lewski nahm im Jahr 1867 an der Zweiten Bulgarischen Legion in Belgrad teil. Nach ihrer Auflösung versuchte er, mit einer Tscheta (Freischar) nach Bulgarien zu kommen, um einen Aufstand zu entfachen, wurde aber in Serbien verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Nach seiner Befreiung fuhr er ins benachbarte Rumänien, wo er sich im April 1867 als Fahnenträger der Tscheta von Panajot Chitow anschloss. Er plante mit seinen Mitkämpfenden einen Aufstand in Bulgarien. Hierfür baute er ein Netz von revolutionären Komitees in Bulgarien auf. Am 11. Dezember 1868 begann er seine erste Rundreise durch Bulgarien, die bis zum Februar 1869 dauerte. Ab Mai 1869 gelang es ihm in seiner zweiten Rundreise, revolutionäre Komitees im ganzen Land zu gründen.
Ende 1869 nahm Lewski an der Gründung des Bulgarischen Revolutionären Zentralkomitees (BRZK) teil und wurde gemeinsam mit Ljuben Karawelow Vorsitzender des revolutionär-demokratischen Flügels.
Am Morgen des 27. Dezembers 1872 wurde der Chan (Raststätte), in dem Lewski übernachten sollte, von der türkischen Polizei umstellt. Lewski versuchte zu flüchten und wurde dabei verletzt. Nach seiner Verhaftung sollte er nach Konstantinopel gebracht werden, da der osmanische Sultan Abdülaziz sich für Lewski interessierte. Für diesen Fall sollte er per Bahn transportiert werden. Dabei organisierten die Komitees in Stara Sagora und Tschirpan mit Hilfe des Eisenbahningenieurs Jiří Prošek (aus Böhmen stammend) einen Plan für die Befreiung Lewskis. Stattdessen wurde Lewski nach Sofia gebracht. Am 4. Januar begann der Prozess gegen ihn, der am 14. Januar 1873 mit einem gerichtlichen Todesurteil sein Ende fand. Am 22. Januar wurde sein Todesurteil von Sultan Abdülaziz bestätigt. Wasil Lewski wurde am 18. Februar 1873 in der Nähe von Sofia gehängt.
Fahrt nach Plovdiv
Mit dem Zug fuhren die Teilnehmenden der Reise in die zweitgrößte Stadt Bulgariens, nach Plovdiv. Plovdiv liegt in der Thrakischen Ebene an beiden Ufern der Mariza am Fuße der Rhodopen und wird die Kulturhauptstadt Europas 2019. Die ältesten Siedlungsspuren im heutigen Stadtgebiet stammen aus dem 6. Jahrtausend vor Christus. Bei der gemeinsamen Stadtbesichtigung lernten die Teilnehmenden die thrakische, römische und slawische Geschichte der Stadt kennen. Gemeinsam wurden die historische Altstadt und die vielfältigen Ausgrabungen besichtigt. Dabei wurde das römische Stadion, das 30.000 Zuschauerplätze hatte, genauso besichtigt, wie das römische Theater von Plovdiv und eine Reihe von interessanten Kirchen und Moscheen. Natürlich durfte auch die Besichtigung eines der Wahrzeichen der Stadt auf dem Hügel Bunardzhik nicht fehlen: Das Denkmal zu Ehren der Sowjetarmee, genannt „Aljoscha“, liegt beeindruckend über der Stadt und ist der Befreiung Bulgariens vom Faschismus gewidmet.
Besichtigung Sofias
Zu zwei Besichtigungstouren ging es durch Sofia. Die Stadt liegt in der Sofia-Ebene im Westen des Landes. Mit ihren fast 1,5 Millionen Einwohner*innen ist sie die größte und bevölkerungsreichste Stadt und administratives Zentrum des Bezirks (Oblast) Sofia-Stadt.
Bei den Besichtigungen wurde den Teilnehmenden die jahrtausendealte Geschichte der Stadt vermittelt. Beeindruckend sind die Ausgrabungen im heutigen Stadtzentrum der römischen Stadt Serdica, wobei der Name auf die seit dem 2. Jahrtausend vor Christus dort lebenden thrakischen Serden zurückgeht. Aber auch die osmanische Zeit ist in Sofia an vielen Stellen beeindruckend zu sehen. Gemeinsam wurde die osmanische Banja-Baschi-Moschee aus dem Jahre 1576 in der Stadtmitte besichtigt. Auch das älteste Gebäude der Stadt, die Rotunde Sweti Georgi wurde besichtigt. Diese Kirche stammt aus dem 4. Jahrhundert und besitzt Reste dreier Schichten von Wandmalereien aus dem 11. bis 13. Jahrhundert.
Die Besichtigung ging vorbei am Parlament, der Akademie der Wissenschaft, dem Denkmal für die Rettung von 50.000 Menschen jüdischen Glaubens in Bulgarien während des Zweiten Weltkrieges, der drittgrößten Synagoge in Europa, der russisch-orthodoxen Kirche und vielen Museen und Theatern. Beeindruckend war der Alexander-Newski-Platz mit der Alexander-Newski-Gedächtniskirche. Der Monumentalbau, 1904 bis 1912 nach dem Entwurf des russischen Architekten Alexander Pomeranzew zu Ehren der russischen Befreier vom Osmanischen Reich im neobyzantinischen Stil entstanden, bedeckt eine Fläche von mehr als 2.500 Quadratmeter und fasst 5.000 Menschen. Zu der Innenausstattung zählen 270 Wandgemälde, 80 Ikonen, kunstvolle Schnitzereien, Throne und Details aus verschiedenfarbigem, fremdländischem Alabaster. Die Krypta birgt ein einzigartiges Ikonenmuseum mit hervorragenden Beispielen ab dem 12. Jahrhundert, unter anderem eine Kollektion von Ikonen aus Nessebar aus dem 16. und 17. Jahrhundert und die Poganowo-Ikone.
Im Mittelpunkt der Stadtführungen stand die antifaschistische Geschichte der Stadt. Mit zwei beeindruckenden Denkmälern wird der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee und dem antifaschistischen Widerstand gedacht. Gemeinsam ging es in den Boris-Garten, der in der sozialistischen Zeit „Freiheitspark“ hieß und heute wieder nach dem ehemaligen Zaren Boris benannt ist. Der Kulturpalast, in dem in den letzten Monaten die Sitzungen während der EU-Ratspräsidentschaft Bulgariens stattgefunden hatten, beeindruckte durch seine moderne und interessante Architektur.
Uwe Hiksch und Janeta Mileva