Der Wald steht schwarz und schweiget

© 

Für Matthias Claudius war es 1779 das Abendlied, in dem er die Stille des Waldes besang: „Der Wald steht schwarz und schweiget ...“. Doch heute ächzt und kracht es im Forst. Die Harvester-Maschinen kommen kaum noch nach. Bevor das oft rissige oder befallene Holz gar nicht mehr vermarktet werden kann, ist in Deutschland Kahlschlag angesagt. Dabei schafft es das Ungetüm eines Harvesters, eine fünfzig Meter hohe Fichte in sechzig Sekunden zu fällen, zu entasten und für das Sägewerk bereit abzulegen. Dort bringt das Holz kaum noch etwas, denn das Angebot ist gewaltig.

Waldromantik und Realität

Die letzten trockenen und heißen Sommer haben den Plantagen zugesetzt. Der Borkenkäfer besorgt wie derzeit im Harz den Rest. Auch wer vor langer Zeit nur Buchen oder Eichen gepflanzt hatte, fühlt sich sprichwörtlich hinter die Fichte geführt. Denn auch hier lichten sich die Kronen der Bäume, sie sterben ab. Gleichzeitig breitet sich im Land eine Waldromantik aus wie selten zuvor. Jedenfalls scheint es so, wenn man auf den Büchermarkt schaut. Ein Waldbuch jagt das andere und Literaten machen sich auf den Selbsterfahrungstrip wie einst Henry Thoreau, dessen Walden jüngst wieder bei Matthes & Seitz erschienen ist. Wolfgang Büscher ist so einer, der auf der Suche nach der „Waldfreiheit“ in eine Waldhütte eines Fürsten zieht. Er schreibt in Heimkehr: „Ich war nicht mehr einer, der in den Wald geht, ich würde einer aus dem Wald sein.“ Ob der Sorge, ob er dort auch die „Waldeinsamkeit“ finde, beruhigt ihn der Förster: „Keine Sorge, kein Mensch geht in den Wald.“ Tja, Romantik und Wirklichkeit fallen meist weit auseinander.

Der Waldzustandsbericht

Trockenheit,  Hitze,  Schädlinge  und  Schadstoffe:  Vier  von  fünf  Bäumen  in  Deutschland  sind  geschädigt, dokumentiert der aktuelle Waldzustandsbericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums.  Eine  Ursache  ist  der  Klimawandel,  der  Hitzestress  und  stellenweise  Dürre  mit  sich  bringt. Besonders stark betroffen sind die Nadelbäume, aber auch etwa die Hälfte der Buchen und Eichen. Dem Bericht zufolge sind die Sterberaten der Bäume so hoch wie seit gut 20 Jahren nicht mehr. Der aktuelle Waldzustandsbericht erschien im März und bilanziert den deutschen Wald im Jahr 2019. Doch auch 2020 wird sich die Lage dramatisch verschlechtern, es gab viel zu wenig Niederschlag im Sommer.

Zum Waldzustandsbericht 2019

Der Klimawandel ist auch in Deutschland angekommen und die Veränderungen, die damit in den Forsten und Wäldern einhergehen, werden dramatisch sein. Bisher gibt es in der Forstwis-senschaft keinen Konsens über die richtige Strategie für eine Anpassung an den unvermeidlichen Wandel. Naturschützer*innen setzen meist auf natürliche Waldverjüngung, Waldbesitzer*innen auf andere Bäume wie etwa die Douglasie. Deren Bestände aber brannten in Kalifornien in diesem Sommer besonders gut. Was fehlt, ist eine nationale Waldstrategie, in der Fachleute verschiedene Entwicklungspfade aufzeigen und jenseits privater Interessen Umbaupläne zur öffentlichen Diskussion stellen.

Gehört Wald in Privathand?

Zwar hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner mehr als 1,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für Waldumbau mobilisiert, aber die gehen als Subventionen weitgehend konzeptionslos an die Waldbesitzer*innen. Es ist ein altes Problem, dass mehr als die Hälfte des Waldbestandes in privater Hand ist. Ein Großteil davon gehört „Fürstenhäusern“ und den Kirchen. Schon in der Weimarer Republik erklärte der sozialdemokratische Sprecher in der Debatte über das Gesetz zum Schutz des Waldes: „Wenn sich jemals etwas als ein Fluch erwiesen hat, dann ist es der Umstand, dass der deutsche Wald zum großen Teil in Privathänden ist. Es wäre viel besser, wir wären so weit, dass der Wald ganz enteignet werden könnte.“

Auch die NaturFreunde traten schon früh dafür ein, die größten Waldbestände in Nationalparke umzuwandeln. Denkt man die Entwicklung, die mit dem Klimawandel einhergeht, zwei Jahrzehnte weiter, wird man diese Frage erneut aufwerfen müssen. Schließlich sollen die Wälder als sogenannte Kohlendioxid-Senken einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Sind sie zu Asche zerfallen, kann das nicht funktionieren.

Weltweite Waldbrände

Werfen wir einen Blick in die USA: In Kalifornien, Oregon und Washington verbrannten diesen Sommer mehr als zwei Millionen Hektar Wald, Zigtausende Menschen verloren ihre Häuser, nicht wenige auch das Leben. Rauch zog mit bloßem Auge sichtbar bis nach New York an der Ostküste. Aschepartikel befanden sich laut der EU-Agentur Kopernikus auch in der europäischen Atmosphäre.

Wissenschaftler*innen haben jüngst auf die noch weitgehend unbekannten Nebenwirkungen des Einatmens des Rauchcocktails hingewiesen, der in ungekannten Konzentrationen in der Atemluft auftritt. Der Gouverneur von Kalifornien Garin Newsom sagte: „Die Debatte, ob es einen Klimawandel gibt, ist zu Ende. Kommen Sie nach Kalifornien. Schauen Sie mit eigenen Augen. Hier geht es nicht um intellektuelle Debatten. Es ist ein elender Klimanotstand.“ Mittlerweile entstehen sogenannte Superfeuer, die selbst mit militärischen Mitteln nicht mehr löschbar sind. Der Schriftsteller Jeff Goodell: „Mein Kalifornien existiert nicht mehr, metaphorisch und literarisch, weil die Landschaft, in der ich als Kind lebte, zu Asche reduziert wurde.“

Mehr als 7.700 Brände wurden allein im August diesen Jahres im brasilianischen Amazonaswald gezählt, mehr als je zuvor und die meisten zur Brandrodung. Aber auch in Europa brennen jeden Sommer die Wälder. Prozentual auf die Fläche bezogen liegt Portugal an der Spitze. 2017 verbrannten dort mehr als 537.000 Hektar. Noch mehr Hektar verbrannten in Rumänien, Spanien, Italien und Frankreich. Die Ursachen liegen zum einen in der ständig steigenden Durchschnittstemperatur. So lagen in Spanien das sechste Jahr in Folge die Sommertemperaturen über den Normalwerten und die Sommer werden immer länger.

Zum anderen verschärft die zunehmende Entvölkerung ländlicher Gebiete das Problem, weil einstige Wirtschaftswälder nicht mehr bewirtschaftet werden. Plantagenpflanzungen für die Papierindustrie sind eine weitere Gefahr. Auf der Iberischen Halbinsel stehen viele Waldgebiete auf einer sehr dünnen Bodendecke. Verbrennen sie in Superfeuern wie zuletzt in Ourense, folgt die Erosion auf dem Fuße und es bleibt nichts als nackter Granit.

Europa braucht ein koordiniertes Programm zur Aufforstung, Waldpflege und zur Entwicklung von ländlichen Räumen durch Ausweis von Biosphärenreservaten, Nationalparken und grenzüberschreitenden Großschutzgebieten. Ansonsten schreitet die Wüstenbildung voran, mitten in Europa. Dabei können wir von afrikanischen Ländern lernen, die durchaus erfolgreich Projekte durchführen, um durch Qualifizierung, Bildung und Aufforstung das Fortschreiten der Sahara nach Süden aufzuhalten. Die Baumschulen der senegalesischen NaturFreunde sind sicher nur ein kleiner Beitrag zur Rettung der Wälder, genauso wie das Waldprojekt der Thüringer NaturFreunde. Aber jeder weite Weg beginnt mit dem ersten Schritt.

Hans-Gerd Marian