Der Naturwald-Experte Lutz Fähser empfiehlt die naturnahe Waldnutzung
Dr. Lutz Fähser (70) leitete mehr als zwei Jahrzehnte das Forstamt der Stadt Lübeck. Im Jahr 1994 führte er das Konzept der „Naturnahen Waldnutzung" ein, welches als Grundlage der ersten ökosozialen Zertifizierung von Forstbetrieben in Deutschland diente. Dieses sogenannte „Lübeck Waldkonzept" erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Eckart Kuhlwein hatte die Möglichkeit ein Interview mit ihm zu führen.
NATURFREUNDiN: Herr Fähser, welche Regelungen schützen Deutschlands Bäume?
Lutz Fähser: Vor allem die Naturschutz- und Waldgesetze. Zudem sollen laut der Nationalen Biodiversitätsstrategie bis zum Jahr 2020 fünf Prozent der deutschen Wälder total geschützt sein, dabei zehn Prozent der öffentlichen Wälder. Bisher werden bundesweit allerdings nur knapp zwei Prozent der Wälder zuverlässig als „Wildnis“ geschützt. In „meinem“ ehemaligen Wald, dem Stadtwald Lübeck, sind es tatsächlich zehn Prozent.
Welche Rolle spielen Bäume im Klimasystem?
„Klima“ ist der Oberbegriff für die Ausprägungen des Wetters. Das Wetter nehmen wir über die Temperatur, Wind, Regen oder Sonnenschein wahr. Bäume, insbesondere Wälder mildern Wetterextreme ab: Im Sommer kühlen sie, im Winter bremsen sie den Wind. Wälder schützen vor Regen und praller Sonne. Sie schützen alle Lebewesen vor Extremen des Wetters.
Zudem binden Bäume das klimaschädliche Kohlendioxid im Holz. Sie können also den Klimawandel verlangsamen. Je mehr Holz in den Wäldern wächst und nicht eingeschlagen wird, desto mehr Kohlendioxid bleibt als Kohlenstoff gebunden. Dasselbe gilt für die Ansammlung der Humusschicht und den Schutz des Waldbodens: Beide Effekte zusammen speichern etwa genauso viel Kohlendioxid wie stehende Bäume. Schutzwälder ohne Eingriffe leisten deshalb den größten Beitrag zum Klimaschutz. Bei den bewirtschafteten Wäldern schneiden naturnahe, nachhaltige Waldkonzepte am besten ab.
Wir klagen Brasilien wegen Raubbaus an den Amazonas-Wäldern an und vernachlässigen unsere eigenen Möglichkeiten. Wie bewirtschaften wir unsere eigenen Wälder unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes?
In Deutschland wird seit Langem die Nachhaltigkeit der Holzernte beachtet, indem nicht mehr Holz eingeschlagen wird als nachwächst. Doch Holz wird immer wichtiger in der Erzeugung von erneuerbarer Energie. Etwa 50 Prozent des Holzeinschlages eines Jahres werden derzeit energetisch verwendet. Das bedeutet zusätzlichen Ausstoß von Kohlendioxid und ist kontraproduktiv zu den Klimaschutz-Zielen. Außerdem werden vermehrt nicht-heimische Holzarten angepflanzt, die bei Stürmen, Insektenkalamitäten oder Hitzewellen sterben oder umstürzen und damit wieder Treibhausgase freisetzen.
Welche klimafreundlichen Bewirtschaftungsmethoden schlagen Sie für heimische Wälder vor?
Unter diesem Gesichtspunkt müssen die Wälder naturnaher werden. Das bedeutet: hohe Baumvorräte tragen, zwischen 400 und 600 Kubikmeter Holz pro Hektar Wald. Der darf dann nur sehr extensiv beerntet werden, pro Einzelfläche also nur etwa alle 20 Jahre. Dabei müssen bodenschonende Verfahren angewandt werden, zum Beispiel Rückepferde, Seilkräne oder händische Motorsägen. Das geerntete Holz muss hauptsächlich in langlebige Produkte verarbeitet werden wie Bauholz und Möbel. Nur etwa zehn Prozent der deutschen Waldfläche werden derzeit in dieser Hinsicht klimaverantwortlich bewirtschaftet.
Können Sie sagen, wie viele Tonnen Kohlenstoff im Lübecker Stadtwald jährlich gespeichert werden?
Ja, das sind auf etwa 5.000 Hektar circa 1,7 Millionen Tonnen Kohlenstoff, die in der Vegetation sowie im Boden und Humus gespeichert sind. Damit liegt der Lübecker Stadtwald etwa 20 Prozent über dem Durchschnitt der Wälder Schleswig-Holsteins. Nach dem Lübecker Waldkonzept wird sich der Kohlenstoffgehalt in den nächsten Jahrzehnten noch um etwa 30 Prozent steigern, während die Konzepte der Landesforsten, der Kreisforsten und der Privatbetriebe eher bei einem niedrigen Kohlenstoffgehalt stehen bleiben.
Dr. Lutz Fähser: lutz.faehser@gmx.de
Das Interview führte Eckart Kuhlwein
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 4-2015.